Schönheitskorrekturen
Sucht man dann aber nach spezifischeren Informationen, nach verwertbarem Wissen, nach detailierten und weitestgehend vollständigen Fakten, die einer Wahrheitsprüfung gut standhalten können, und will man dafür nicht unbedingt Geld berappen (das Wissen der Menschheit sollte der Menschheit ja schliesslich frei zugänglich sein), dann kommt man an Wikipedia nicht vorbei. Natürlich ist nicht jeder Wikipedia-Artikel einer wissenschaftlichen Arbeit ebenbürtig, aber die meisten Artikel haben einen beachtliche inhaltliche Faktentreue und -fülle.
Das Wiki-Konzept ist ein sehr freizügiges: jeder Nutzer darf über Alles und Jeden schreiben. Doch gerade das über-Jeden-schreiben testet das Konzept auf seine Belastbarkeit. Denn wenn man über aktuelle Personen oder Institutionen einen Artikel verfasst, dann fährt man doch sehr häufig der Werbe- und Marketingbranche vor den Karren. Dann wird die Frage wichtig, unter welcher Intention man einer Öffentlichkeit Informationen zukommen lässt. Im Falle des durchschnittlichen Wiki-Autoren kann man davon ausgehen, das er seine Artikel schreibt, um Wissen mitzuteilen, in erster Linie ohne oder oft auch gegen jede finanzielle Erwartung. In der PR-Branche sieht das bekanntlicherweise etwas anders aus.
So kam es dann beispielsweise im Wiki-Artikel über die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" zu einem beachtlichen "edit-war". Einige wenige Nutzer editierten den Artikel mehrfach am Tag, machten ihn inhaltlich kritikloser und revertierten zeitnah jede kritischere Änderung anderer Nutzer. Ein Schelm, wer da denkt, das es sich wohl um PR-Profis handeln muss, die für ihren Einsatz bezahlt werden, und das von der Institution, die im "umkämpften" Artikel beleuchtet wird. Aber das ist natürlich reine Spekulation.
Ganz so spekulativ ist die Sachlage im Falle der Änderungen im Artikel über Klaus Kleinfeld, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, nicht, nachdem sich in der Diskussion über den Artikel ein Nutzer mit Namen "Siemens AG" angemeldet hat (nachdem Nicknames bekanntlicherweise frei wählbar und nicht besonders schutzwürdig sind, muss auch das noch lange nichts heißen) und im Artikel selbst unter anderem die Formulierung "...in unseren weltweit operierenden Bereichen..." auftauchte, die wohl offensichtlich peinlicherweise 1:1 aus einem Pressetext entnommen wurde. Da es dem Hr. Kleinfeld schon öfters wichtig war, seine Fremdwahrnehmung in seinem Sinne zu verändern, hat sich die Spiegel Onlineredaktion dankbar auf das Thema gestürzt.
(via Blogdiplomatie)
Artikel über Personen des öffentlichen Interesses und Institutionen gibt es bei Wikipedia massenweise, und bei jedem dieser Artikel gibt es Interessensgruppen, die mit der augenblicklichen Fassung mit großer Wahrscheinlichkeit unzufrieden sind. Insofern ist die Gefahr groß, dass es zunehmend zu edit-wars kommt, was einerseits interessierte Leser zuerst verunsichert und dann vergrault, und engagierte Autoren, von denen das Wiki-Prinzip lebt, zuerst verärgert und dann vergrault, und in beiden Fällen Wikipedia an Bedeutung verliert. Und das empfände ich persönlich als Verlust, in Anlehnung an Tocotronic: pure Trivialität darf niemals siegen.
Nachtrag: im Waschsalon wird ganz ähnlich gedacht